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Dr. Freya Strecker: Abstrakte Malerei im Medium der Fotografie

Die Kunstwerdung der Fotografie liegt noch nicht lange zurück. Entwickelt, um die Grafik zu perfektionieren und von langwieriger Handarbeit unabhängig zu machen, galt die Fotografie im 19. Jahrhundert zunächst als Gipfel- und Endpunkt einer Entwicklung zur naturalistischen Abbildung. Die Interpretation der Wirklichkeit durch den Künstler oder Grafiker wurde ersetzt durch eine scheinbar objektive Wiedergabe, die sich allein den Lichtverhältnissen, dem optischen Apparat und dem chemischen Prozess auf der lichtempfindlichen Platte verdankte.

In einer Epoche, in der die empirischen Naturwissenschaften zu Leitwissenschaften avancierten und Soziologie, Ethnologie und Psychologie sich anschickten, auch Individuum und Gesellschaft nach objektivierbaren Kriterien zu beschreiben und zu erforschen, sah man in der Fotografie ein Medium unbestechlicher Dokumentation.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verband sich die Begeisterung der Expressionisten für die Technik zuerst mit einer spezifisch fotografischen Ästhetik. Auf das expressionistische Pathos folgten die surrealistische Verrätselung und die ersten künstlerischen Experimente mit dem manipulierbaren fotografischen Prozess.

Die Erfindung der Farbfotografie und ihre massenhafte Verbreitung in der Nachkriegszeit drängte die künstlerische Fotografie zunächst eher in die Defensive. Nahezu jeder hatte nun die Möglichkeit, private Erinnerungen und Eindrücke bildhaft aufzubewahren. Neben der Verbreitung von Film und Fernsehen war dies die größte Revolution in der Verfügbarkeit von Bildmedien in privater Hand seit der Erfindung der Druckgrafik im 15. Jahrhundert. Zwar wurde die Fotografie zunehmend als Medium künstlerischen Ausdrucks anerkannt, aber die Kriterien, anhand derer künstlerische von anderen Fotografien zu unterscheiden und zu bewerten seien, blieben bis heute relativ unklar.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich in der westlichen Kunst die Abstraktion als vorherrschende Gestaltungsweise durch. Spätestens seit Kandinsky war die äußere Wirklichkeit nicht mehr der wichtigste Gegenstand der Malerei. Künstler fanden oder entwarfen statt dessen neue Bildwelten, die eher inner-psychische Vorgänge reflektierten oder konstruktiven Prinzipien verpflichtet waren. Ihre Kompositionen konnten auf grafischen Gesten, Texturen, Materialien oder Farbfeldern aufbauen. Künstlerische Bilder konnten sich selbst thematisieren, indem sie ihr Material oder ihre Medialität gewissermaßen selbst zur Sprache brachten.

Von hier aus bedarf es einer Umorientierung des künstlerischen Blicks, um die ästhetische Substanz abstrakter Malerei im objektiv Gegebenen zu finden. Jeder dafür Empfängliche kann die Schönheit der Natur und der umgebenden Wirklichkeit wahrnehmen. Ulrike Jakubeks Fotografien verleihen den Phänomenen jedoch eine eigenständige, vom materiellen Anlass weitgehend unabhängige Form. Gegenüber der reinen Erscheinung tritt die Frage nach dem gegenständlichen Motiv in den Hintergrund. Statt dessen wird das Spiel der Farben, Formen, Linien, Flächen und Strukturen wesentlicher Inhalt des Bildes und Ausgangspunkt für die Assoziationen des Betrachters.

In den Fotografien von Ulrike Jakubek werden Nahsichten zu Panoramen. Auf Oberflächen entwickeln sich transluzide Räume, die Zerfallsprodukte chemischer Prozesse suggerieren landschaftliche Formationen, zufällige Farbspuren erscheinen als kalkulierte Komposition, Müll entwickelt eine geradezu monumentale Präsenz, Plakatabrisse werden zu arktischen Landschaften, abblätternde Farben mutieren zu Luftbildern, Lichtreflexe verwandeln sich in mäandernde Flussläufe und das ursprünglich Fluide kann kompositionell in sich ruhen. Farben, grafische Strukturen und Erinnerungen an Wahrgenommenes oder Erlebtes ordnen sich zum Bild.

Der produktive Blick nimmt sich zurück und überlässt dem Betrachter das Bild als vermeintlich selbstverständliche Gegebenheit und Anlass, die eigene Sensibilität zu erproben, mit der eigenen Wahrnehmungs- und Assoziationsfähigkeit zu spielen, einen scheinbar unscheinbaren Teil der Welt neu zu entdecken und sich an der Schönheit des zuvor achtlos Übersehenen zu erfreuen.

Was die Komposition unauffällig bestimmt sind Auswahl, Ausschnitt und Bildformat. Lichteinfall und Schatten können die Oberfl?che räumlich erfahrbar machen. Mit der Wahl des Ausschnitts werden Richtungen und Proportionen fixiert. Erst dadurch wird der Niederschlag der optischen Erscheinungen zum Bild. Bezugspunkte, Orientierungen für das räumliche Sehen werden ein- oder ausgeschlossen, Verdinglichungen zugelassen oder auch verhindert. Mal wird die fotografierte Oberfläche mit der Bildebene scheinbar identisch, mal scheinen farbige Lichter ortlos in undefinierten Räumen zu schweben, mal meint man Texturen fast greifen oder gar spüren zu können.

Sind die Objekte auch gefunden, so ist die Bildgestaltung doch künstlerische Kreation. Die optischen Erscheinungen emanzipieren sich von den materiellen Trägern und eröffnen unter dem achtsamen Blick Ulrike Jakubeks neue Möglichkeiten für Wahrnehmung und Phantasie. Wie die abstrakte Malerei, von der sie ausgehen, thematisieren die Bilder nur bedingt die äußere Wirklichkeit. Sie nehmen sie vielmehr zum Anlass, den Betrachter auf die ästhetischen Phänomene zurückzuführen, um in der kontemplativen Betrachtung zu sich selbst zu finden.

Ulrike Jakubeks individueller Stil zeigt sich in der Auswahl der Motive auf abstrakte Bildvorstellungen hin, die Teil ihres künstlerischen Gesamtwerkes sind. Die Künstlerin verzichtet auf die laute Geste zugunsten einer Zuständlichkeit, in der selbst dynamische Strukturen, intensive Farben und Kontraste sich harmonisch ausbalancieren und dadurch in sich zuruhen scheinen. Weit davon entfernt, die Assoziationen der Betrachter festzulegen, fesseln die Kompositionen durch eine Ausgewogenheit, die weder gefällig, noch glatt oder einfach nur dekorativ ist. Durch sie wird der Veränderungsprozess, dem die oftmals spröden Oberflächentexturen ihre Existenz verdanken, aufgehoben im Augenblick der Bildentstehung und in der Zeitlosigkeit visueller Kontemplation.

© Dr. Freya Strecker, Stuttgart

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© Ulrike Jakubek 2006–2012

Aktualisiert: 30.08.2012